Katrin Jaquet
 

(m)other


 

1998, from a series of 8

ilfochrome on aluminium, each 90 x 70 cm

photographed projection




1998, from a series of 8

ilfochrome on aluminium, each 55 x 80 cm

photographed projection

 




1998, from a series of 6

ilfochrome on aluminium, each 90 x 70 cm

photographed projection




This series was originally titled "Mama". "(m)other" is a title I had already thought about from the beginning, and with more than twenty years of distance, I think it's more appropriate.




Hubertus von Amelunxen

Ex-Positionen

zu den Arbeiten von Katrin Jaquet

Für Philippe Lacoue-Labarthe

"Das Bild ist etwas Abstraktes und hat eigentlich nur noch wenig mit mir zu tun. Ich gehe mit mir selbst wie mit einer fremden Person um. Wenn ich aber trotzdem immer wieder meine eigene Person wähle, so deshalb, weil ich zu ihr die meisten Beziehungen habe." (Urs Lüthi, 1974)

 "your are not the only who is lonely" - mit einer Serie von Selbstportraits bedachte Urs Lüthi vor fünfundzwanzig Jahren das fotografische Bild als ein kritisches Instrumentarium, das für unser Verhältnis zur Zeit, zum Körper und zum Geschlecht höchst beunruhigend wirken müßte. Denn in einem fotografischen Portrait wird nicht nur das Antlitz des Menschen gefaßt - und wer faßt es? -, es drängt sich auch jener Zwischenraum hinein, dem das Bild seinen eigentlichen Ursprung verdankt. Was wir Ähnlichkeit nennen liegt weniger im Bild des Menschen als in diesem Raum, der den Menschen von seinem Bild distanziert, den wir aber mit jedem Blick uns zu vergegenwärtigen versuchen. Ein Selbstportrait, so wäre zu glauben, enthält als Bild eine Intimität, die nur noch in einem mentalen Bild gesteigert werden könnte, in einem Bild, dessen wir uns gar nicht bewußt sein müssen, das jenseits der Darstellbarkeit, eben jenseits eines Außen wäre. Die Intimität aber des fotografischen Selbstportraits ist in ihrem Wesen eine gebrochene, in sie ist etwas hineingefallen, das wir das Außen nennen können, den gesellschaftlichen Raum oder der Raum, der alle Einsamkeit zu einer geteilten, zu einer dargestellten, zu einer chronoskopischen macht. Wird der Raum als ein konstitutiver bemessen, dann gerät die Identität in der Fotografie in den Sog der Geschichtlichkeit. Das Begehren, im Bild des Selbstportraits den Widerstreit zwischen einer wachsenden und zerstörenden, einer retrospektiven wie einer prospektiven Identität zu sammeln, bestimmt die fotografischen Arbeiten von Katrin Jaquet.

Diese Bilder sind Selbstportraits, gleichwohl in ihnen immer anderes enthalten ist. Sie zeigen das Selbst im Anderen, lassen das Gesicht oder auch den Körper über den anderen sich neigen oder aber Teil eines lebendigen Bildes werden. Alles scheint verrückt, alles ist höchst unheimlich, derart sogar, daß Geister der Vergangenheit beschwört werden. Fotografien - das zeigt Katrin Jaquet einmal mehr - sind nun wirklich keine gespensterfreien Orte. In ihren Selbstportraits wird das Selbst geteilt und es wird zum Widergänger. Das Unheimliche in den Arbeiten von Katrin Jaquet rührt von den Überlagerungen her, von den Schichtungen der Repräsentation, die sich durch die Projektionen ergeben. Die drei Serien (Mama I-III) rekurrieren in unterschiedlicher Art und Weise auf die Projektion als ein der Fotografie wie der menschlichen Psyche ursprüngliches Verfahren. Bilder der Mutter, der Großmutter oder von Katrin Jaquet werden jeweils aufeinander projiziert (Mama I). Katrin Jaquet fotografiert sich während sie vor der Projektionsfläche von Bildern aus dem kindlichen Familienleben eine Person ersetzt (Mama II). Schließlich werden in den eigenen Mund und Rachenraum Bilder der Kindheit projiziert (Mama III).

In der Kunst wird die Projektion im Bild als eine weitere Eben der Repräsentation eingesetzt. Mit ihr wird eine Abwesenheit zusätzlich supplementiert. Von Urs Lüthi, Ulrike Rosenbach, Katharina Sieverding, Victor Burgin bis zu Cindy Sherman oder jüngst auch Teresa Hubbard und Alexander Birchler, die Projektion in der Fotografie verschachtelt (mise en abyme) mindestens zwei Ebenen der Referenz untereinander, die in einer dritten Referenz auf eine Überlagerung von Identitäten, Geschlechtern oder Lokalitäten verweisen. Als ein analoges Kompositverfahren wirkt die Projektion in jedem Falle aber dislozierend. Wenn Katrin Jaquet sich das Bild der Mutter auf das eigene Gesicht projiziert und jenes durch das eigene ersetzt, sich sozusagen in das Bild der Mutter "einmummelt", dann ereignet sich ein psychischer Vorgang der stillen Übertragung. Unheimlich wirkt es, weil niemand mehr bei sich ist und die Abwesenheit (der Mutter) eine Stellvertreterin durch die Künstlerin erfährt. Nicht das Objekt der Mutter, sondern die Abwesenheit des Objekts wird ersetzt. Aus der Vertretung einer Absenz wird noch keine Präsenz, im Gegenteil vollzieht Katrin Jaquet in dieser Projektion eine eigentlich schmerzhafte Substitution, in deren Vorgang sie sich der Projektion der Mutter [(M)other] anvertraut und in ihr verschwindet. In dem Augenblick aber, da die Künstlerin sich in das Licht der Mutter stellt, wird sie von ihr geblendet.

Wer sieht eigentlich wann wen oder was und welcher Blick stößt wem zu? Das Unheimliche in diesen Bildern liegt doch in der Aneignung des Blickes der Mutter, in den Überlagerungen der Augenpaare und natürlich in dieser Blendung. Denn was die Künstlerin im Augenblick der Aufnahme sieht, ist das Licht, den Träger der Projektion, aber nicht das Projizierte. In E.T.A. Hoffmanns berühmter Erzählung vom Sandmann droht die Mutter den Kindern, dieser würde ihnen Sand in die Augen streuen, "daß sie blutig zum Kopfe herausspringen", beim Advokaten Coppelius werden sie zu glutroten Körnern aus der Flamme -- das Unheimliche besteht in der Drohung, das Kind des Augenlichts zu berauben. Die Projektion ist ein Spiel der Verweisung, immer, schreibt Freud, wird etwas nach außen geworfen, das als Eigenes nicht erkannt oder aber als solches tabuisiert wird. Jaquets Bilder-Zyklen arbeiten mit verworfenen Tabus: im Fond des Autos sitzend als Braut ihres Vaters, auf dem Bett liegend neben sich als Säugling, auf den Gaumen projiziert als Säugling im Arm des Vaters. Die Mama-Arbeiten von Katrin Jaquet sind Zyklen der Reproduktion, der technischen ebenso wie der sexuellen.

Von der fotografischen Reproduktion heißt es, sie zerstöre die Authentizität; das Simulakrum ersetze den Ort der authentischen Erfahrung. Diese Gemeinplätze sind wichtig, um fragen zu können, was eine authentische Erfahrung bestimmt, wenn nicht eben die Angst vor dem Verlust der Authentizität. Die Reproduktion hinterläßt im Original die Spuren dessen, was es in der Vervielfältigung hat einbüßen müssen. Katrin Jaquets Reproduktion der eigenen Mutter ist eine autobiographische Antizipation oder eine "Autothanatographie" (Lacoue-Labarthe), aber auch eine Regression in der Simulation früher Kindheit oder der eigenen Umarmung als kleines Kind im Bad. Ob als kommende Zeit oder als verstrichene Zeit, die Fotografie führt das Unmögliche zum Bild, die Nichtdarstellbarkeit des Darstellbaren, die Verschiebung und Überlagerung von Zeitachsen, die aus dem Momentum der Belichtung heraus eine ungeheure, keiner Zeit der Erfahrung entsprechende Beschleunigung bewirken. In den Projektionen exponiert sich die Künstlerin der Fotografie und läßt ein Leben abrollen. Die Ex-Position ist die Belichtung des Gewesenen - sie ist aber auch das Verbliebene eines verlassenen Ortes, die Form einer Herkunft.

 Katalogtext Kunstverein Göttingen 1999