Katrin Jaquet
 


en apnée

2000

series of 22

ilfochrome on aluminium, various dimensions

photographed projection




Hendrik Rost

Flüssige Poesie

Kein Meta, es sei denn im Physischen!

Wasser ist kein angenehmes Element. Es wäre eine Hallenbadsmentalität, das anzunehmen - man zieht im wohltemperierten Becken seine Bahnen, angenehm abgeschlossen von der lärmenden Welt oberhalb der Wasserlinie, und tut dabei auch noch etwas für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Störfaktor sind allein jene älteren Damen, die mehr treibend als aktiv schwimmend den sportiven eigenen Stil behindern.

Aber Wasser ist kein tragendes Element.

Ich erinnere mich an einen Sommer am Atlantik, als ich übermütig und von der äußeren Hitze ins kalte Meer getrieben wurde und kaum einen Meter vom Strand entfernt von der ersten ernstzunehmenden Welle erfasst wurde. Sie schlug über mir zusammen, begrub mich, das war mein Empfinden, unter Tonnen von Wasser, wirbelte mich durch einen Vollwaschgang Salzlauge, der noch in die feinste Öffnung des Körpers drang, und hielt mich grade so lang unter Wasser, bis ich dachte, den Widerstand gegen das Ertrinken ruhig aufgeben zu können, da ich sowieso ertrinken werde, als ich in einer letzten Volte auf den trocknen Sand gespült wurde, ein gutes Stück über dem Flutsaum.

Meine Freunde, die das Spektakel von Beginn an, vom furchtlosen In-die-Fluten-Stürzen über das Versinken bis hin zum Ausgespucktwerden, verfolgt hatten, sahen zu, wie ich mich aufrappelte, bleich vor Furcht und Peinlichkeit, warteten eine Schrecksekunde lang, dann brachen sie in gemeinste Schadenfreude aus. Während ich dastand, die Badehose wie einen Beutel unter mir tragend, da sie prall gefüllt war mit Sand und Muscheln. Und aus den Tiefen der Nebenhöhlen troff mir ein Ozean.

Als ich die Serie en apnée zum ersten Mal sah, blieb mir erneut die Luft weg und derselbe Zwiespalt, der sich aus dem Wunsch ergibt nach wässriger Geborgenheit, Kühlung des Gemüts und dem Gefühl, darin genausogut untergehen zu können, schlug über mir zusammen, als wär seit jenem Jahr am Strand keine Zeit vergangen. Aber es war kein passives Dejá-vu, sondern das Eingeholtwerden von einer Wissen, eher einer Ahnung, die ich die ganze Zeit hätte haben müssen: Es ist Wasser in seinen zahllosen Formen, was an den festgelegten Gefühlen nagt.  

Anders gesagt, der Boden unter den Füßen mag noch so fest sein - der Körper, der auf ihm steht, ist und bleibt eine Emulsion schwankender Zustände:

Die frühe wache Begegnung mit dem eignen Körper, wird lange prägend sein. Das erste Mal, als ich eine Ahnung davon bekam, was es bedeutet, lebendig und damit verletzlich oder zumindest mir unbekannt zu sein, war als Kind in der Badewanne liegend, den Kopf so tief ins Warme versenkt, dass die Ohren grade unter der Wasserlinie lagen. Nach wenigen Sekunden des Einhorchens, hörte ich den eignen Puls ganz deutlich und spürte dazu den Herzschlag, wie er durch die Wanne ging und den Körper im Rhythmus seiner Schläge wog. Dass dies kein Meeresrauschen war, wie es die ans Ohr gehaltenen Muschel vorgibt, war gleich zu spüren. Es war das fragile innere Gleichgewicht, das im Wasser ein Element gefunden hatte, sich ohne weitere Rücksichten und Poetisierungen zu offenbaren.

Erste sensationelle Fotos aus der Zeit, die den ungeborenen lebenden Menschen noch im Mutterleib abbildeten - und wir betrachteten sie in der grünen Wissensillustrierten, die die Großmutter monatlich bekam, seltsam aufgeregt und stimuliert, weil es dem kindlichen Schamgefühl widersprach, dahin zurückblicken zu wollen, von wo aus man selbst erst vor wenigen Jahren aufgebrochen war -,  verbreiteten eine ähnliche Unruhe, haben sie jedoch in eine Ästhetik gekleidet, die der seitdem offenkundigen Einsicht in prächtigsten Farben entgegenstand, dass man als Lurch beginnt und leider nicht als Prinz endet. Man bleibt wandelbare, sich wandelnde Masse, die nie für sich steht, sondern im Traum im besten Falle etwas Anderes meint, das es jedoch nicht einfach so preisgeben mag.

Denn die Schöne da im Wasser schweigt sehr konsequent.  

Hartnäckig wie weniges hält sich das Gerücht, im Sterben noch Stationen des eigenen Lebens sehen zu können, als würde ein fixer innerer Film zurückgespult. Vor allem Momente besonderer Sentimentalität, bei der Mutter auf dem Arm, die erste gelunge Radfahrt ohne Stützräder oder ein früher Urlaub am Meer, zischen nochmals vorüber in seltsam matten Farben. Wie nachträglich koloriert. Diese Sterbensberichte sind jedoch keine Piktogramme zum einfacheren Verstehen des eigenen Lebens, sondern Wunsch des eben nur beinahe gestorbenen Menschens, der für einen kleinen Moment die Lizenz hatte, sich, ohne jede Rücksicht auf sich selbst, besinnen zu dürfen. Der Flashback war Projektion. Jener ganz persönliche Film ist ein mit en apnée entwickeltes Abstraktum: ein Driften durch ungestaltete Umgebungen. Bewegt von der gespenstischen Klarheit der Wahrnehmung, kurz bevor sie scheitert.

Meine Neigung zum Wasser, am besten in wilderen Versionen wie am offnen Meer, rührt bestimmt von jenem frühen Scheitern an der ersten Welle her. So wie ich meine Neigung zu Menschen und ihren Schwächen damit begründen mag, dass jedes Gleichgewicht auf solchen flüssigen, aber schlagkräftigen Phänomenen basiert: Die Wesen auf den Bildern, sind wiedererkennbar zumindest jemand und immer eine Frau. Wie erklärt sich dann jedoch ein Wesen, wenn es ohne Umgebung, die man als natürliche anerkennen könnte, offensichtlich lebt und gedeihen muss, weil es den Betrachter fesselt, wie neues oder noch unbekanntes Leben es vermag?

Der Grund, auf den die Vorstellung in diesem Fall trifft, ist nicht fruchtbar, sondern lebensfeindlich wie jede radikale Ästhetik. Der Mensch ist hier das Ergebnis seiner Erwartungen und Befürchtungen, die sämtlich erfüllt werden. Das Wasser trägt nur, solange man selbst getragen werden will, danach beginnt ein stetige Sinken in Tiefen ohne Merkmale, in Zonen, wo der Druck den Willen auf ein Minimum komprimiert und am Ende auf einen Punkt zusammenstaucht: Zu der Erkenntnis, dass man den Widerstand gegen das Ertrinken ruhig aufgeben kann, da man sowieso ertrinken wird.

Es gibt ehrliche Elemente.